In der anhaltenden Debatte um Zuwanderung und Integration halten sich die Manager der großen Unternehmen meist vornehm zurück. Wagt sich ein CEO aus der Deckung, kann er indes heftig in die Schusslinie geraten. Der Vorstandsvorsitzende der Siemens AG hat sich im vergangenen Frühjahr pointiert in die bis heute nicht abebbende Diskussion eingemischt. Er reagierte auf eine Äußerung der AfD-Vorsitzenden Alice Weidel, die im Deutschen Bundestag von "Kopftuchmädchen, Messermännern und anderen Nichtsnutzen" schwadronierte. Kaeser reagierte entschlossen und eindeutig in einem Tweet: "Lieber Kopftuchmädchen als Bund Deutscher Mädel." Für den Siemens-Chef war sein öffentlicher Beitrag eine "Herz- und Kopfentscheidung".

 

Enorme Aufmerksamkeit 

Mit einigen wenigen Zeilen hat der Siemens-Chef ein gewaltiges Echo - inklusive Shitstorm - ausgelöst. In einer Fallstudie analysierte das Forschungsinstitut PRIME Research die mediale Resonanz und wie sich das Thema in der Öffentlichkeit weiterentwickelt hat. Die Medienaufmerksamkeit war enorm: Innerhalb von wenigen Tagen erzielte Kaeser eine Reichweite von rund 30 Millionen Reaktionen, davon entfielen 80 % auf einen Zeitraum von nur zwei Tagen. Zusammengefasst ergibt sich folgendes Bild: Die Reaktionen in den klassischen Medien waren mit über 70 % überwiegend zustimmend. Die ablehnende Kritik in den sozialen Medien kam fast ausschließlich aus dem Lager der AfD-Sympathisanten. Diese Kritik erzeugte allerdings kaum Reichweite und verbreitete sich überwiegend im geschlossenen Raum der AfD-Community. Allerdings gilt es, die zum Teil heftigste Form der Ablehnung, die vor persönlicher Bedrohung der eigenen Person und von Familienangehörigen nicht zurückschreckt, auszuhalten. Kaeser hatte sich bewusst dem Risiko ausgesetzt, zur Zielscheibe von Hass und Hetze zu werden. Hier nicht klein beizugeben, sondern mit breitem Kreuz die eingenommene Position zu halten, gehört dazu, wenn man mit einem Meinungsbeitrag in die politische Arena einsteigt und sich laut und vernehmlich äußert. Politische Statements dürfen allerdings keine Eintagsfliegen sein. Zuvor hatte sich Kaeser bereits auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos eindeutig zur Steuerreform des US-Präsidenten Trump positioniert. Für seine positive Äußerungen zu den Steuersenkungsplänen musste sich Kaeser von Mitarbeitern, Arbeitnehmervertretern und auch Aktionären Kritik gefallen lassen. Demnach muss sich jeder CEO klar darüber sein, dass entsprechende Wortmeldungen keine Schönwetterveranstaltungen sind, sondern dass einem der Widerspruch heftig und stark entgegenwehen kann. Dies gilt umso mehr, wenn man sich mit einer plakativen Wortwahl im Sinne von "Auf einen groben Klotz gehört ein grober Keil" in die Debatte begibt.

Mit seiner Initiative, die Schweigespirale zu durchbrechen, hat Kaeser aber vor allem seine Position und seinen Einfluss genutzt, auch im Sinne seines Unternehmens zu handeln. Als CEO hat er eindeutig Haltung demonstriert und dabei die Werte des Unternehmens verteidigt. Der oberste Repräsentant verkörpert authentisch Internationalität und Weltoffenheit eines global agierenden Unternehmens, das mit seinen rund 400 000 Mitarbeitern bereits heute über 90 % seines Neugeschäfts außerhalb von Deutschland erzielt. Sich von dumpfen, populistischen Parolen zu distanzieren ist also nicht nur eine Frage der ethischen Grundhaltung, sondern auch aus ökonomischen Gründen wohlbegründet.

So stellt sich die Frage, warum nicht andere Top-Manager die Chance ergreifen und ihre einflussreiche Position nutzen, um gesellschaftspolitische Verantwortung wahrzunehmen und sich eindeutig zu positionieren. So kritisieren beispielsweise gestandene Unternehmerpersönlichkeiten wie der Schraubenfabrikant Reinhold Würth und der Lasermaschinenhersteller Berthold Leibinger (Trumpf) scharf die protektionistische Wirtschaftspolitik von Donald Trump. Auch Frank Appel, CEO Deutsche Post, betont in einem Interview Deutschlands Weltoffenheit. Er sehe sich in der Verantwortung, "alles dafür zu tun, um Populisten den Nährboden zu entziehen". Allerdings bleiben derartige Wortmeldungen noch zu häufig die große Ausnahme.

Im Sinne einer ganzheitlichen Unternehmenskommunikation ist es dagegen unerlässlich, auch zu gesellschaftlichen Themen klare Position zu beziehen So wird Kunden, Geschäftspartnern und vor allen Dingen den Mitarbeitern unmissverständlich die Haltung des Unternehmens vermittelt. Gerade jüngere Menschen erwarten von Vertretern der Wirtschaft eine klare politische Positionierung. Die Unternehmen werden davon am Ende - ähnlich wie bei ihrer Nachhaltigkeitspolitik - auch ökonomisch profitieren. Somit ist die politische Kommunikation eine strategische Chance, sich als CEO zu profilieren, aber vor allem stellvertretend für das Unternehmen und seine Mitarbeiter die Haltung des Konzerns zu verdeutlichen - vorausgesetzt, die Aussagen treffen den Markenkern und tragen nicht zur weiteren Polarisierung bei.

 

Noch mal nachgelegt 

Denn eine Eskalation ist nicht im Sinne des Unternehmens. Über den letzten Punkt hat sich der Siemens-CEO in den vergangenen Wochen souverän hinweggesetzt. Joe Kaeser hat trotz - oder gerade wegen - der heftigen Reaktionen auf seine Meinungsäußerung in den sozialen Medien mit einem erneuten Beitrag nachgelegt. Nicht im Sinne einer weiteren Eskalierung, sondern mit einer ganz grundsätzlichen Überlegung: Auch die Lenker von Wirtschaftsunternehmen stehen mitten im Leben und sollten dies zum Ausdruck geben. Kaesers Fazit: "Ein CEO kann, darf, soll politisch sein. Manchmal muss er sogar politisch sein." Dem ist wenig hinzuzufügen. Nur so viel: Die Verpflichtung eines CEO, Haltung zu zeigen, endet nicht an der Firmenpforte. Oder um es in einer Abwandlung eines Zitats des damaligen US-Präsidentschaftskandidaten Bill Clinton, "It's the economy, stupid", zu formulieren: "It's the politics, stupid."

Dieser Gastbeitrag von Dr. Rainer Mathes (President Cision Insights) erschien zunächst in der Börsen-Zeitung. Direkt zum Artikel. 

 



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