Organisationen und Unternehmen agieren nicht im luftleeren Raum. Sie sind von vielen Einflussfaktoren abhängig. Einer davon ist die positive oder negative Bewertung durch die Stakeholder. Das Image, bzw. die Reputation in der Öffentlichkeit, wirken sich unter anderem direkt auf den Absatz der Produkte und Dienstleistungen sowie auf Bewerbungen bei Stellenausschreibungen aus. Dabei kommt es nicht selten vor, dass Unternehmen von gesellschaftlichen Entwicklungen überrumpelt werden und sich unversehens einer negativen Beurteilung der Öffentlichkeit oder von Teilöffentlichkeiten gegenübersehen.

 

Gerade in den vergangenen Jahren spielten in diesem Zusammenhang das Internet und die Social Media eine entscheidende Rolle. Wird ein Unternehmen von einem sogenannten Shitstorm erfasst, ist der Schaden meist immens. 

In diesem Beitrag zeigen wir Ihnen auf, welche Bedeutung das Issue-Management für Unternehmen hat und wie es sich in zehn Schritten umsetzen lässt. 

 

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Definition Issue Management

Beim Issue-Management handelt es sich um eine Managementstrategie, die der Früherkennung von Risiken und Chancen, die sich aus öffentlichen Debatten ergeben können, dienen soll. Wobei in der Regel besonders die Risiken im Fokus stehen. Sind einmal relevante Issues erkannt, geht es darum, eine angemessene Position zu entwickeln und kommunikativ zu begründen. Neben der rechtzeitigen Vermittlung der eigenen Position, gilt es, sich umfassend auf eine kontrovers geführte öffentliche Diskussion vorzubereiten und geeignete Handlungsstrategien zu erarbeiten.

1. Was ist Issue-Management? 

Der Begriff Issue-Management wurde erstmals im Jahre 1976 von dem US-amerikanischen PR-Berater W. Howard Chase geprägt. Ihm ging es bei seiner Begriffsschöpfung um eine Erweiterung des PR-Begriffs. Ein Issue (engl. für Thema, Aspekt, Angelegenheit) bezeichnet eine relevante Entwicklung in der öffentlichen Diskussion, die sich auf das Erreichen von Unternehmenszielen auswirken kann.

Ziel des Issue-Managements ist, in der medialen Öffentlichkeit oder bei bestimmten Dialoggruppen aufkommende, organisationsrelevante Themen frühzeitig zu erkennen und angemessen zu reagieren. Das kann durch die Beeinflussung des öffentlichen Meinungsbildungsprozesses geschehen oder durch Anpassungen innerhalb der Organisation. Issues müssen nicht unbedingt negativ sein, es können sich durch Issues durchaus Chancen für das Unternehmen entwickeln, auch wenn das Issue-Management oft als „Krisenradar“ bezeichnet wird.

 

Konzerne müssen Issue-Management weltweit betreiben

Ziel des Issue-Managements ist es, frühzeitig auf Themen aufmerksam zu werden, die ein Risiko oder eine Chance bedeuten können. Für Konzerne bedeutet das, auf internationaler Ebene Issue zu beobachten. 

  

2. Wie entstehen Issues? 

Die gesellschaftliche Entwicklung bringt Themen hervor, die durch die Stakeholder, bzw. Anspruchs- und Interessensgruppen, an das Unternehmen herangetragen werden und damit zu Issues werden. Issues ergeben sich also aus der Verbindung und dem Zusammentreffen der jeweiligen Interessen von Stakeholdern und Unternehmen. Um Issues und ihre Dimension für das Unternehmen besser verstehen zu können, bietet es sich an, die Übersetzung (Thema, Aspekt, Angelegenheit) um den Aspekt Konflikt, bzw. Streitfrage zu erweitern. Denn erst dadurch lässt sich die Bedeutung von Issues umfänglich begreifen.

 

Issues haben in der Regel folgende Eigenschaften: 

  • Öffentliches Interesse
  • Bezug zu einem aktuellen Ereignis
  • Konfliktpotential in Bezug auf mögliche Lösungen
  • Auswirkungen auf die Beziehung von (Teil)Öffentlichkeit und Unternehmen
  • Einfluss auf die Handlungsoptionen des Unternehmens  

 

3. Wie stellt sich der Lebenszyklus dar? 

Obwohl jedes Issue individuell bewertet werden muss, lässt sich beobachten, dass alle Issues einen vergleichbaren Lebenszyklus durchlaufen. Generell lässt sich sagen, mit zunehmendem Alter eines Issues nehmen die Handlungsoptionen des Unternehmens ab und umso höher werden die Kosten möglicher Reaktionen: Einerseits nimmt der Zeitdruck zu, um noch auf den Prozess Einfluss nehmen zu können. Andererseits verfestigen sich die Standpunkte der Stakeholder und lassen sich immer schwerer beeinflussen.

 

Definitionsphase: 

  • Sachverhalt wird durch wenige Stakeholder als Problem, bzw. als Konflikt mit dem Unternehmen erkannt.

Legitimationsphase: 

  • Meinungsbildner verbreiten Ihren Standpunkt in der Öffentlichkeit und setzen ihre Wertvorstellungen in Beziehung zum Verhalten des Unternehmens.

Polarisationsphase: 

  • Das Issue nimmt in der öffentlichen Diskussion immer mehr Raum ein. Diese spielt sich in der Regel zuerst in den Social Media ab und gewinnt dort immer mehr viralen Charakter. In der Folge wird das Issue von den klassischen Medien aufgegriffen. Generell wird der Sachverhalt simplifiziert und polarisierend dargestellt, um ein möglichst großes Publikumsinteresse hervorzurufen.

Identifikationsphase: 

  • Das Medieninteresse nimmt zu und es wird ausführlich über das Thema berichtet. Durch die mediale Verbreitung werden Lösungen öffentlich diskutiert. Unterschiedliche Positionen wie etwa die Erhöhung oder Senkung einer bestimmten Steuer stehen zur Debatte. Die Teilnehmer identifizieren sich mit einer der verbreiteten Lösungen und vertreten sie entschieden. Prominente Eliten, zum Beispiel ein Wirtschaftsverband, treten für ein bestimmtes Thema ein und erhalten Unterstützung durch Meinungsführer.

Lösung: 

  • Das kritische Thema wird durch Verhandlungen, Anpassungen oder gesetzliche Regelungen gelöst. Dabei hat kaum eine Lösung einen Endgültigkeitscharakter. Vielmehr tritt das Issue in eine latente Phase ein und kann jederzeit wieder in der öffentlichen Diskussion an Bedeutung gewinnen. 
 

Cision-Grafik - Darstellung des Lebenszyklus eines Issues

Die 5 Phasen des Lebenszyklus eines Issues. 

  

4. Welche Ziele werden mit dem Issue-Management verfolgt? 

Ziel des Issue-Managements ist, in der medialen Öffentlichkeit oder bei bestimmten Stakeholdergruppen aufkommende relevante Themen möglichst frühzeitig zu erkennen und entsprechend zu reagieren, um dem Unternehmen möglichst große Einflussmöglichkeiten zu verschaffen. Es geht also um die Suche nach Ereignissen und Trends („weak signals“), die sich zu Issues entwickeln könnten. Wenn ein Unternehmen relevante Themen frühzeitig erkennt, kann es kommunikativ aktiv werden, bevor die Thematik den Höhepunkt der Aufmerksamkeit erreicht. Dies erleichtert es, der Öffentlichkeit die eigene Position und das eigene Verhalten bezüglich des Issues zu vermitteln.

 

5. Wie setzen Unternehmen das Issue-Management auf? 

Die Aktivitäten zur Identifizierung von Issues lassen sich in Scanning und Monitoring unterteilen: Unter Scanning versteht man die noch unspezifizierte Umfeldbeobachtung auf Chancen- und Risikopotenziale. Die so gesammelten Informationen werden gefiltert und verdichtet. Zuerst müssen hierfür bestimmte Betrachtungsgrenzen festgelegt werden. Dabei darf der Suchraum nicht zu eng gefasst werden, um zentrale Risikofelder nicht zu übersehen.

Was als relevant für die Organisation qualifiziert ist, wird kontinuierlich und gezielt beobachtet, was dann als „Monitoring“ bezeichnet wird. Im Ergebnis entsteht eine Issue-Agenda mit den für das Unternehmen wichtigsten Issues.

 

Quellen des Scannings: 

  • Internet (Social Media, Homepages, Newsgroups, Foren, Blogs)
  • Klassische Massenmedien (Zeitungen, TV, Radio)
  • Studien, Tagungsunterlagen, Newsletter etc.
  • Persönliche Mitteilungen 

 

Methoden des Monitorings: 

  • Medienbeobachtung
  • Inhaltsanalyse
  • Befragung
  • Expertengespräche

 

Wenn Sie weitere Details zum Scanning und Medienmonitoring suchen, erhalten Sie in unserem Bereich Medienbeobachtung weitere Informationen. 

 

Wurden die zentralen Issues identifiziert, werden diese in einem zweiten Schritt genauer analysiert. Anschließend werden anhand der gewonnenen Erkenntnisse Handlungsstrategien für den Umgang mit den unterschiedlichen Issues entwickelt. Alle Kommunikationsmaßnahmen, die auf diesen Analysen beruhen, werden auf die spezifischen Ansprüche der Stakeholdergruppen zugeschnitten, um entsprechende Thematiken möglichst effektiv anzusprechen.

 

Nach der Entscheidung zum Handeln gibt es grundsätzlich drei Optionen:

  • Abwehr der mit dem Issue verbundenen Anliegen
  • Beeinflussung des Issues durch Mitwirkung
  • Anpassung des Unternehmens

 

Dabei reicht der Mitteleinsatz von der Unternehmenskommunikation über Lobbying bis zu Managementmaßnahmen. Wobei die Zielgruppen unterschiedliche Positionen innehaben können – beispielsweise Gegner, Verbündete oder Vermittler. Grundsätzlich ist Issue-Management als umfassender Prozess zu verstehen: von der Identifikation der Issues über die Konzeption bis zur Umsetzung der Maßnahmen.

  • Früherkennung von Risiken und Chancen, die sich aus der öffentlichen Debatte ergeben
  • Begründung der eigenen Position und des eigenen Verhaltens
  • Frühzeitige Anpassung des eigenen Verhaltens
  • Vorbereitung auf die öffentliche Auseinandersetzung 

Rechtzeitige Vermittlung der eigenen Positionen an die Meinungsbildner in den klassischen und neuen Medien sowie in der Politik. 

 

6. Was für Handlungsstrategien und Erfolgsfaktoren gibt es? 

Bei den unterschiedlichen Handlungs-, bzw. Präventionsstrategien des Issue-Managements geht es darum, die Gefahr, die von einem gewissen Thema für das Unternehmen ausgeht, mit bestimmten Aktionen zu neutralisieren. Dabei sind unterschiedliche Vorgehensweisen möglich:

  • Den jeweiligen Akteuren das Vorantreiben des Themas überlassen und sich auf Reaktionen beschränken. In der Folge: Berücksichtigung und Antizipation der Issue-Folgen.
  • Die Führung übernehmen und dynamisch in die Auseinandersetzung eingreifen. In der Folge: Abwehr der unerwünschten Folgen der Issue-Entwicklung. 

 

Unabhängig von der Vorgehensweise lassen sich beim Issue-Management folgende Erfolgsfaktoren erkennen:

  • Issue-Management muss Chefsache sein
  • Festlegung von Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten
  • Klare Vorgaben und Zielsetzungen
  • Bereitstellung von finanziellen und personellen Kapazitäten
  • Abstimmung mit anderen Unternehmenseinheiten
  • Integration in bestehende Planungsprozesse

 

Dimensionen eines Issue

Die Dimensionen, die ein Issue besitzt. 

  

7. Welche Dimensionen haben Issues? 

Sachdimension: 

  • Inhalt des Issues
  • Unternehmensbezug
  • Auswirkung auf das Unternehmen
  • Aufmerksamkeitswert
  • Akteurdimension:
  • Identifikation der Stakeholder
  • Deutungsrahmen (Problemwahrnehmung und Schuldzuweisung, Restriktionsempfinden, Betroffenheitsgrad, Lösungsvorstellungen)
  • Stellenwert der Stakeholder (Macht, Legitimität, subjektive Dringlichkeit des Anliegens)

 

Zeitdimension: 

  • Mediale Aufmerksamkeit
  • Beteiligte Teilöffentlichkeiten

 

8. Welche Kriterien sind für die Bewertung von Issues entscheidend? 

Bei der Bewertung der Relevanz und des Gefahrenpotenzials der Issues sind verschiedene Kriterien zu berücksichtigen: 

 

Bewertungsaspekt  Kriterien 
Relevanz - Generelles Thema 
- Branchenthema 
- Unternehmensthema 
Betroffenheit  - Gesamtunternehmen 
- Bestimmte Sparte 
- Bestimmer Funktionsbereich 
Reichweite  - Global 
- National 
- Regional 
Triebkraft  - Politikfähig 
- Öffentlichkeit 
- Nischenthema 
Schadenpotenzial  - Unternehmensimage 
- Produkte und Marktanteile
- Finanzen  

 

9. Wie ist eine Evaluation möglich? 

Die Evaluierung des Issue-Managements besteht aus Ergebniskontrolle und Prozesskontrolle. Die Prozesskontrolle überprüft die Effizienz und Effektivität der einzelnen Schritte des Issue-Managements. Die Ergebniskontrolle vergleicht die gesetzten Ziele mit den erreichten Ergebnissen. Das ist allerdings, wie im gesamten Kommunikationsbereich, schwierig, da wegen der vielen externen Einflüsse bestimmte Wirkungen oft nicht eindeutig zugeordnet werden können. 

 

Bild mit Personen, die Issue-Management evaluieren

Bei der Evaluation des Issue-Managements spielen Ergebniskontrolle und Prozesskontrolle eine wichtige Rolle. 

  

10. Welche Praxis-Beispiele machen die Zusammenhänge deutlich? 

Der Fall „Brent Spar“ ist eines der prominentesten Beispiele von nicht geglücktem Issue-Management: 1995 wollte der Ölkonzern Shell seine ausgediente Ölplattform „Brent Spar“ still und leise in der Nordsee versenken. Weitere Bohrinseln sollten folgen. Das wollte Greenpeace verhindern und stoppte mit einer öffentlichkeitswirksamen Aktion das Versenken. Es folgte eine globale Solidarisierung: Medien überschlugen sich mit der Berichterstattung, Politiker verurteilten das Vorgehen von Shell und Autofahrer boykottierten die Shell-Tankstellen. Nach 52 Tagen des Protests versprach der Konzern die Ölplattform an Land zu verschrotten. 

Shell wurde damals von der Greenpeace-Kampagne völlig überrascht und zeigte sich hilflos gegenüber der Entwicklung. Viele der Maßnahmen des Unternehmens sind Musterbeispiele dafür, wie man im Krisenfall nicht reagieren sollte. Seither gilt die „Brent Spar“ als Synonym für den kommunikativen Alptraum eines Unternehmens. 

Aber auch neuere Beispiele der Techniker Krankenkasse sowie von Peloton und Lacoste zeigen, wie wichtig sensible Frühwarnsysteme sind: Die öffentlichen Reaktionen nach dem fiktiven Tod von Mr. Big nach einem Peloton-Training, die Berichte zur Impf- und Einreiseposse von Lacoste-Werbepartner Novak Djokovic vor den Australian Open oder die Häme nach dem Hodenkrebs-Spot der Techniker Krankenkasse machen deutlich: Zeitgemäße Unternehmenskommunikation muss nicht nur sensibel und empathisch sein, sie muss auch öffentliche Entwicklungen auf dem Schirm haben und einschätzen können, wann ein Thema zu einem relevanten Issue für das Unternehmen werden kann. 

 

Fazit: Issue-Management hat eine große Bedeutung für Unternehmen 

Die Öffentlichkeit wirft einen zunehmend kritischen Blick auf Unternehmen. Dabei kommen die Firmen schnell ins Gerede, wenn sich der Eindruck eines unmoralischen Handelns aufdrängt. Oft kommt das für Unternehmen plötzlich und unerwartet. Dann ist das Kind aber meist schon in den Brunnen gefallen. 

Spätestens wenn die Gerüchteküche anfängt zu brodeln, ist es für Unternehmen höchste Zeit einzugreifen. Sonst entwickeln Themen in der Öffentlichkeit eine Eigendynamik und sind nicht mehr einzufangen. Und weil der digitalisierte Informationsfluss rasant an Geschwindigkeit und Unübersichtlichkeit zugenommen hat, spielt die Früherkennung und Monitoring für die Bewältigung von kommunikativen Unternehmenskrisen eine immer größere Rolle. Denn was über lange Zeit hinweg in teuren Kampagnen an Reputation aufgebaut wurde, kann schnell zerstört werden – selbst wenn sich im Nachhinein herausstellen sollte, dass die Vorwürfe ungerechtfertigt waren. 

Issue-Management ist ein Weg, sich systematische mit seiner Umgebung und den Anliegen der Öffentlichkeit auseinanderzusetzen, um so Gefahren aufzuspüren bevor sie sich zu handfesten Problemen auswachsen.